An Weihnachten spielen Rollen keine Rolle
Weihnachten steht vor der Tür und damit für viele Menschen auch grosse Herausforderungen. Stille Nacht, Heilige Nacht ist nicht immer nur heilig. Sie kann einen auch innerlich zerreissen. Vor allem wenn man weiss, wie es sein könnte und sollte – und eben doch nicht ist. Einsamkeit, Trauer, Wut, Verluste – all das sind ungebetene Weihnachtsgäste, die manchmal trotzdem auftauchen. Ein Impuls für den Versuch von mehr Menschlichkeit.
Die Themen im Überblick:
Weihnachten: Einfach sein. Austauschen. Gehört werden. Dabei sein.
So sollte Weihnachten sein …
Schön sind sie, manchmal sehr berührend und doch oft auch extrem kitschig: Weihnachtsfilme und Weihnachtslieder. «Stille Nacht», «Last Christmas», «White Christmas», «Oh du fröhliche» – manchmal hat man sie einfach satt. Weil sie in uns so viel Widersprüchliches auslösen können.
Unser Bauchgefühl und unsere Wahrnehmung sträuben sich gegen das bedrängende «So-sollte-es -sein».
«Soll» und «Ist» – Erwartung und Wirklichkeit. Allfällige Diskrepanzen nehmen wir an Weihnachten besonders wahr und vor allem mit:
- An die Familienfeier
- An das Fest mit Freunden
- oder an gar keinen Anlass
Erwartungen an Weihnachten
Endlich ist wieder einmal die ganze Familie zusammen. Die Kinder und Enkelkinder, Geschwister, Grosi und Grosspapi, Papi und Mami – und natürlich Aslan der mittlerweile ergraute Hund. Die sonst so stille Wohnstube gleicht einer Party mit lauter Musik. So stellen sich wahrscheinlich viele Menschen ihre Weihnachtsfeier vor.
Erwartungen/Vorstellungen sind meistens nicht sichtbar.
Doch es könnte so schön sein.
Geschmückter Baum, Geschenke: Das Weihnachtsfest soll doch so sein. Oder nicht?
Die Wirklichkeit ist manchmal anders
- Kind Nr. 1 meldet sich samt Familie ab. Die Kinder sind kränklich und man will ja niemanden anstecken. Besonders nicht die Grosseltern.
- Kind Nr. 2 fragt, ob es wie immer abläuft oder mal etwas Neues «angesagt» ist.
- Kind Nr. 3 isst seit kurzem kompromisslos vegan und kommt nur, wenn das Menu entsprechend ausfällt.
- Und dann sind da noch Menschen, die nirgends eingeladen sind. Und es auch nicht schaffen, an öffentlichen Feiern teilzunehmen. Für die es sehr schwierig ist, dieses Alleinsein an Weihnachten auszuhalten.
Tatsache und oft nicht ersichtlich sind all die einsamen Menschen. Das muss nichts mit Alleinsein zu tun haben, sondern mit dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Als Person nicht integriert oder respektiert zu sein. Einsamkeit unter Menschen.
Die Hoffnung auf ein gemütliches Weihnachtsfest schwindet.
Was also tun?
Erwartungen sind unsichtbare Verträge, die nur vom Absender unterschrieben werden.
Erwartungen können schnell überfordern. Uns selbst und andere.
Besonders an Weihnachten. Besonders, wenn man in einem psychischen Tief steckt.
Depressionen, Trauer, Einsamkeit, Sinn-Fragen, Alleinsein etc.
Um Weihnachten herum sind die kürzesten Tage und längsten Nächte im Jahr.
Das am Ende einer Zeitperiode, die uns in der Regel viel Kraft gekostet. Die Zeit auf Weihnachten hin. Zudem haben nicht alle zwischen Weihnachten und Neujahr Ferien.
Das Umschalten von Dauerstress auf Lächeln dauert manchmal etwas länger.
Auch hat Weihnachten so die Eigenschaft uns an die Menschen zu erinnern, die nicht mehr am Tisch sitzen. Manchmal kommt Trauer auf – und Trauer sollte man nie unterdrücken müssen. Einsamkeit, Sinn-Fragen, Alleinsein oder Depressionen – sie sitzen als unsichtbare Gäste mit am Tisch.
Genau in dieser Zeit möchte unsere Psyche echt sein dürfen.
Doch passt das zu diesem Fest?
Ist Raum fürs Echt-sein vorhanden?
Echt sein dürfen?!
Warum eigentlich nicht? Warum nicht sagen dürfen, wie es einem wirklich geht? «Wirklich» ist ja nichts anderes als «das eigene Erleben». Eine persönliche Sichtweise. Für Betroffene ist sie Wahrheit und Wahrheit macht uns laut dem Hauptprotagonisten der Weihnachtsgeschichte frei.
Möchten wir im Grunde genommen nicht alle authentisch leben können?
Alles, was wir nicht sein dürfen, begleitet uns im Alltag. Es lähmt uns und raubt uns Kraft. Wenn jemand traurig ist, an einer Depression, vielleicht sogar an einer Sucht leidet, das Alleinsein satt hat und sich einsam fühlt – warum sollte dies nicht ausgesprochen werden dürfen?
Denn Weihnachten steht für neue Sichtweisen und neue Beziehungsfähigkeit. Für Gesehen-und-Wahrgenommen-Werden. Alles Grundlagen für ein sinnstiftendes Gemeinschaftsgefühl – was unserer Gesellschaft und jeder einzelnen Person enorm gut tun würde.
Zu sich stehen und für die eigenen Werte einstehen können
Selbstgespräche erkennen, Wahrheit leben
Natürlich kann es nicht darum gehen, die eigene schlechte Laune auf andere abzuwälzen. Doch die Frage steht im Raum:
Dürfen wir uns anderen zumuten? Kann unsere Echtheit vielleicht sogar ein Gewinn sein? Eine Einladung, sich selbst zu sein? Sich zu zeigen? Wirklich zu zeigen? Wirtschaftsorientierte Gemeinschaft und Erwartungen können vieles überdecken.
Wir Menschen haben die Eigenart, mit uns selbst zu hart ins Gericht zu gehen. Schnell sind da diese inneren Stimmen, die meistens verurteilend auf uns einreden. Eine unendliche Geschichte, die wir fast nicht loswerden.
Rollen, die nicht zu uns passen, sind extrem mühsam zu spielen. Und Rollen sind meistens spürbar – vor allem für die anderen. Rollen trennen eher, statt zu verbinden.
Weihnachten: Sich andern zumuten dürfen, Identität leben
An Weihnachten spielen Rollen keine Rolle!
Das passt nicht zu Weihnachten. Zu Gemeinschaft. Zu Beziehungsfähigkeit.
Darf Stille, darf Betroffenheit, darf Ohnmacht sein? Wir müssen sie nicht wegdiskutieren. Sie sind Teil unseres Lebens. Ein wichtiger sogar. Schaffen sie doch Nähe. Gute, nicht bedrängende Nähe.
Viele psychische Krankheiten haben einen Zusammenhang mit grundlegenden Ängsten und mit fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten im eigenen Leben.
Geteiltes Leid ist immer noch halbes Leid. Getragen werden und mittragen kann eines der schönsten Weihnachtsgeschenke überhaupt sein. Und geteilte Freude verdoppelt sich.
Zusammen sein. Reden. Zuhören. Mitfühlen. Ohne Ratschläge.
Weihnachten will im Grunde genommen genau das: Gelebte Wahrheit.
© christliche-lebensberatung.ch 23.10.2025
Redaktionelle Leitung und Autor von christliche-lebensberatung.ch
Andreas Räber ist Enneagram-Coach/Trainer, GPI®-Coach, sowie Autor von zahlreichen Blogs, Fachartikeln und Kurzgeschichten aus den Bereichen Weihnachten, Beruf, Beziehung, Gesundheit und Leben. Er ist Inhaber der Ratgeber und Webplattformen coaching-persoenlichkeitsentwicklung.ch, christliche-werte.ch, berufliche-neuorientierung.ch, ausbildung-tipps.ch.



















